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Sicherlich hast du in deiner Kindheit mit Figuren gespielt. Lego oder Puppen oder Schlümpfe oder Star-Wars-Figuren oder Barbie & Ken oder Playmobil. Und du hast mit ihnen verschiedene Geschichten gespielt. So etwas funktioniert nur, wenn du dich in diese Figuren einfühlst und sie „lebst“, z. B. wenn du Sätze sagst, die eine Figur gerade spricht.
Mache das auch in diesem folgenden Experiment:
Erinnere dich an eine dir unangenehme Situation mit einem oder mehreren Menschen, die noch nicht so lange her ist.
Nun nimm eine erste Figur (Playmobil etc.). Und wenn du gerade keine Figuren zur Hand hast, nimm einfach einen Kugelschreiber und stell dir vor: „Das bin ich.“ Fühl dich ein, wie es diesem Kugelschreiber (also dir) gerade geht. Frage ihn: „Wie fühlst du dich gerade?“ und dann beobachte, was dir der Kugelschreiber in deiner Fantasie antworten möchte - oder was du als Spielende:r den Kugelschreiber antworten lassen möchtest.
Als nächstes nimm einen Bleistift und halte ihn ganz dicht an den Kugelschreiber. So dass beide sich vollständig berühren. Also komplett zusammen. Du sagst zum Bleistift: „Du bist alles das, was nicht zu mir gehört.“ Anschließend trennst du ganz langsam den Bleistift vom Kugelschreiber und sagst dabei zum Bleistift: „Ich nehme dich jetzt und lege dich dorthin, wo du eigentlich hingehörst.“ Folge dabei deinem Gefühl und deiner Fantasie. Lege den Bleistift irgendwo im Raum hin, wo du den Eindruck hast, dass er dort jetzt hingehört. Nun richte deine Aufmerksamkeit wieder auf deinen Kugelschreiber, auf dich. Frage ihn: „Und wie fühlst du dich jetzt?“ Beobachte, was sich in deinem Gefühl verändert hat.
Es geht noch weiter. Nimm jetzt einen zweiten Kugelschreiber dazu. Vielleicht mit einer besonders schönen Farbe. Gib ihm die Bedeutung: „Meine volle Lebensfreude“, und nähere ihn langsam an den ersten Kugelschreiber, der dich darstellt, an. Bis beide Kugelschreiber sich berühren. Halte sie ganz dicht zusammen. Und nun fühle dich wieder in dich selbst (deinen Kugelschreiber) ein. Wie fühlst du dich jetzt? Zusammen mit deiner vollen Lebensfreude?
Merkst du, wie du allein durch deine Bedeutungsgebung und durch ein kleines Ritual dein Gefühl beeinflussen kannst?
Dabei sind es doch "nur" Stifte ...
Es macht einen großen Unterschied, ob du das hier jetzt nur gelesen und dir in Gedanken vorgestellt hast, oder ob du es tatsächlich ausprobierst. Dein Gefühl und dein Unbewusstes reagieren auf direkte Symbole im Außen noch einmal anders als auf deine reine Vorstellung. Kannst du aber gut visualisieren, dann könnte auch die reine Vorstellung wirkungsvoll sein. Probiere es aus, ob es bei dir einen Unterschied zwischen praktischem Ritual und Visualisierung gibt.
Situation 1: Stell dir vor, du bist in deiner Kindheit von einem Hund gebissen worden. Dann kann es sein, dass du danach eine grundsätzliche Angst vor Hunden entwickelt hast. Denn sie können dich ja verletzen.
Situation 2: Stell dir vor, dass deine Eltern in deiner Kindheit dich immer vor Hunden gewarnt haben, denn Hunde könnten dich beißen und verletzen. Daraufhin hast du ebenso eine Angst vor Hunden entwickelt.
Wären beide Situationen tatsächlich passiert, dann hättest du durch beide Situationen eine Angst vor Hunden entwickelt. Die Angst aus Situation 1 wäre tatsächlich deine Angst. Denn du hast eine schmerzhafte Situation selbst erlebt und hast daraufhin begonnen, dich vor einer Wiederholung zu schützen.
Doch die Angst aus der Situation 2 wäre nicht deine Angst. Du hättest sie von deinen Eltern übernommen, denn deine Eltern hatten diese Angst und haben dich aus dieser Angst heraus gewarnt.
Wieso sollte man dies unterscheiden? Wieso spielt es eine Rolle, ob eine Angst die eigene oder eine übernommene Angst ist?
Du kannst später mit diesen Ängsten unterschiedlich umgehen. Die (von deinen Eltern oder anderen Menschen) übernommene Angst ist sehr leicht lösbar, indem du dir bewusst machst, dass du nur Angst hattest, weil deine Eltern Angst hatten. Lässt du diese Angst bei deinen Eltern und entscheidest dich, keine weitere „Resonanz“ zu der Angst der Eltern zu leben und deinen eigenen angstfreien Weg zu gehen, dann kann die Angst tatsächlich sehr schnell verschwinden. Dabei könnte der Satz helfen: „Dieser Angst stehe ich jetzt nicht mehr zur Verfügung.“
Die selbst entwickelte Angst, die wirklich deine eigene ist (weil du eigene schmerzliche Erfahrungen gemacht hast), kann nicht einfach so abgelegt werden. Sie braucht eine Weiterentwicklung, eine Heilung, ein Happy End, eine positive Denk-Alternative (siehe Schritt 2) oder neue positive Erfahrungen (siehe Schritt 16).
Ich hatte als Kind Angst vor Hunden, weil mich einmal ein aggressiver Hund durch sein heftiges Knurren und Bellen sehr erschreckt hat. Dann habe ich im Alter von 14 Jahren selbst einen kleinen Welpen bekommen und durfte ihn aufziehen und mich um ihn kümmern. Dadurch habe ich eine neue Beziehung zu einem Hund erlebt. Das hat meinen Erfahrungsschatz erweitert und meine Wahlmöglichkeiten erhöht. Ich habe das Wesen von Hunden besser kennengelernt und habe gelernt, als Herrchen mit einem Hund umzugehen. Seitdem habe ich keine Angst mehr vor Hunden. Ich fühle zwar einen natürlichen Stress bei einem wild knurrenden, zähnefletschenden Hund, bin äußerst aufmerksam, aber ohne eine "Angst" dabei zu haben.
Es gibt sehr viele Überzeugungen, die wir von unserem Umfeld übernommen haben, weil unser Umfeld diese Überzeugungen hatte (hat). Das sind nicht unsere Überzeugungen. Mit diesen fremden Überzeugungen können wir sehr flexibel umgehen und sie auch leicht verändern. Auch andere Menschen könnten uns bei einer übernommenen Überzeugung durch Argumentationen leichter vom Gegenteil überzeugen.
Und es gibt Überzeugungen, die wir selbst durch eigene Erfahrungen entwickelt haben. Das sind tatsächlich unsere eigenen Überzeugungen. Die sind selten leicht veränderbar. Für eine Änderung so einer eigenen Überzeugung brauchen wir neue Erfahrungen, die die ersten Erfahrungen so ergänzen, dass wir unsere Überzeugung weiterentwickeln oder sogar auch komplett verändern wollen.
Glaube mir nicht. Übernimm nicht einfach meine hier im Lebensfreude-Training beschriebenen Überzeugungen, sondern teste und erforsche es selbst. Sammle eigene Erfahrungen, um meine hier beschriebenen Überzeugungen zu überprüfen und selbst für dich stimmige Überzeugungen aus deinen eigenen Erfahrungen heraus zu entwickeln.
Für deine Lebensfreude bedeutet das nun folgendes:
Vielleicht hast du die bremsende Überzeugung, dass man nicht einfach so Lebensfreude erleben darf, sondern dass man sie sich verdienen muss. Oder du hast die Überzeugung, dass man keine Lebensfreude spüren darf, während es anderen Menschen auf der Welt schlecht geht. Oder etwas Ähnliches?
Teste als Allererstes, ob diese bremsende Sichtweise wirklich zu dir selbst gehört. Sage dir selbst den Satz: „Für diese Überzeugung stehe ich nicht mehr zur Verfügung. Ich lebe ab jetzt die Überzeugung, dass jeder zu jederzeit über seine eigene Lebensfreude frei bestimmt. Jeder nach seinen ganz eigenen Maßstäben.“
Sollten dich diese Sätze sofort „befreien“, dann hattest du vorher eine „übernommene“ Überzeugung, die nicht deine war.
Kannst du diese neuen Sätze aber nicht richtig annehmen und hat es keine befreiende Wirkung auf dich, dann hast du selbst in deinem Leben etwas (Schmerzliches?) erlebt, das dazu geführt hat, dass du eine bremsende Überzeugung selbst in dir entwickelt hast. Hier lade ich dich dazu ein, diese (schmerzliche) Situation wieder zu erinnern und dir dafür eine positive Denk-Alternative zu erschaffen, die du gleichwertig neben die Erinnerung an die frühere Situation stellst und sie mit ihr intensiv verknüpfst. Dadurch kannst du die bremsende Wirkung der früheren Situation aus der Vergangenheit allmählich verringern oder sogar ganz auflösen.
Höchstwahrscheinlich öffnet dich die positive Denk-Alternative dafür, nun eine für dich stimmigere und angenehmere Überzeugung zu entwickeln, die wirklich für dich passt und dich deine volle Lebensfreude erleben lässt.
Das Werkzeug des Unterscheidens und Sortierens kannst du immer wieder im Alltag einsetzen, wenn du wieder einmal das Gefühl hast, keinen Zugang zu deiner Lebensfreude zu haben. Befindest du dich sogar in einer Gefühls-Krise, dann nimm beispielsweise ein Kissen, drücke es dir an die Brust und sage: „Das ist alles das, was jetzt gerade nicht zu mir gehört. Ich stehe dafür nicht mehr zur Verfügung und lege es jetzt dorthin, wo es eigentlich hingehört.“
Dann entfernst du langsam das Kissen von deiner Brust und legst es irgendwo in den Raum (oder raus auf den Flur), wo es deinem Gefühl nach jetzt liegen sollte. Meiner Erfahrung nach muss man nicht unbedingt wissen, wohin oder zu wem es eigentlich gehört.
Dieses kleine Ritual, etwas von sich zu unterscheiden und symbolisch zu trennen, was nicht zu einem selbst gehört, genügt mir oft schon und macht Platz für mehr Lebensfreudegefühle.
Fühle nach, wie es dir selbst nach diesem kleinen Ritual geht.
Du kannst dieses Ritual noch erweitern, indem du nun ein anderes besonders schönes Kissen nimmst. Gib diesem Kissen die Bedeutung "meine volle Lebensfreude" oder auch "mein bisher nicht gelebtes Potenzial" (oder eine für dich stimmigere Bedeutung - nimm etwas, was für dich gerade am besten passt). Drücke dieses Kissen nun an dein Herz, stell dir vor, wie du es wieder vollständig integrierst (tief einatmen?), und beobachte, wie du dich damit fühlst.
(Wichtig: Diese Rituale sollten meiner Erfahrung nach tatsächlich aktiv durchgeführt werden. Das Gehirn erlebt es auf diese Weise noch einmal anders und kann besser dort etwas hineinprojizieren. Es könnte sein, dass das einfache Lesen eines solchen Rituals und eine innere Vorstellung in dem Fall nicht genügen oder eine wesentlich geringere Wirkung haben. Probiere es aus.)
Sollte es dich einmal nicht erleichtern, dann weißt du zumindest nun, dass dein aktuelles Krisen-Gefühl dein eigenes ist, und du kannst mit einem der anderen Schritte dieses Lebensfreude-Trainings dein Gefühl in Lebensfreude transformieren (z. B. mit einer schönen Denk-Alternative).
In vielen Fällen dürfte dieses Sortieren und Unterscheiden tatsächlich wirken, weil wir uns sehr häufig an unser Umfeld anpassen und bestimmte Sichtweisen, Überzeugungen, Befürchtungen übernehmen, ohne dazu selbst konkrete Erfahrungen gesammelt zu haben.
Ich biete dir an, bei unangenehmen Gefühlen oder Krisen immer mit diesem Ritual zu beginnen, bevor du dich selbst heilen möchtest. Unterscheide zunächst klar, was zu dir gehört und was nicht. Sortiere es neu, indem du dem, was nicht zu dir gehört, nicht weiter zur Verfügung stehst. Beobachte, was danach in dir übrig bleibt. Das, was nach dem Sortieren noch übrig bleibt, gehört zu dir und kann nun von dir transformiert werden (durch Erforschung des Krisen-Gefühls, durch Erhöhung von Wahlmöglichkeiten, durch grüne fließende oder rote fürsorgliche Lebensfreude, durch einen liebevollen verständnisvollen Rahmen, durch Schmerzverarbeitung, durch tiefe Verbundenheit, durch schöne Erlebnisse in der Gegenwart oder was dir selbst als Werkzeug einfällt und angenehm ist).
Hier erreichst du Schritt 6: Unterscheide zwischen Selbstwert und Fremdwert